Quellenzur Geschichte derMenschenrechte

Das Abschluss-Communiqué der Asiatisch-Afrikanischen Konferenz in Bandung (1955)

von Jürgen Dinkel

Am 18. April 1955 trafen sich die Staats- und Regierungsoberhäupter von 29 asiatischen und afrikanischen Staaten respektive Kolonien zu einer Konferenz in Bandung, Indonesien. Dort diskutierten sie eine Woche lang den Wandel der internationalen Beziehungen seit dem Zweiten Weltkrieg. Das am Ende der Konferenz veröffentlichte Final Communique of the Asian-African Conference zeigt eindrücklich, wie überwiegend postkoloniale Regierungen Mitte der fünfziger Jahre den Verlauf der Dekolonisation, den Ost-West-Konflikt, oder auch die Gründung der Vereinten Nationen wahrnahmen. Erkennbar wird darin auch, wie sich die Konferenzteilnehmer eine neue internationale Ordnung vorstellten. Dieser Beitrag legt besonderes Augenmerk auf die Rolle, die der Bezug auf Menschenrechte spielte.

Entstehungsgeschichte
Inhalt
Wirkungsgeschichte
Kommentierte Bibliographie
Literatur

AutorIn
Jürgen Dinkel ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für deutsche und europäische Geschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts an der Universität Leipzig

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Bandung Konferenz 1955

Entstehungsgeschichte

Die Welt befand sich zwischen den vierziger und bis Mitte der fünfziger Jahre im Umbruch. Der Zweite Weltkrieg, die Dekolonisierung in Asien und der beginnende Ost-West-Konflikt hatten die alte internationale Ordnung des Kolonialzeitalters zum Einsturz gebracht. Umbauten und Reformen des globalen Miteinanders erschienen sowohl notwendig, als auch politisch und organisatorisch möglich, wie es die Gründung der Vereinten Nationen oder die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte im Jahr 1948 belegten. Umstritten und noch nicht klar abzusehen war Anfang der fünfziger Jahre hingegen, wie diese neue Ordnung genau aussehen sollte und wer an der Neugestaltung der internationalen Beziehungen mitwirken würde. Dies zeigten auch die Ereignisse in Asien, wo sich in den fünfziger Jahren Dekolonisation postkoloniales State-building und der Ost-West-Konfliktes überschnitten.1 

Nach dem Ende des Koreakriegs und des Indochinakriegs wollten die USA, Großbritannien, Frankreich und die Sowjetunion zusammen mit Vietnam, Laos und Kambodscha sowie der Volksrepublik China den asiatischen Kontinent auf der Genfer Konferenz im Jahr 1954 neu ordnen.2 Dieses Vorhaben stieß jedoch bei allen anderen asiatischen Regierungen auf heftige Kritik, die ihre Unabhängigkeit meist erst wenige Jahre zuvor erreicht hatten und die nicht zur Konferenz eingeladen worden waren. Der indische Premierminister Jawaharlal Nehru sah in der Genfer Konferenz den erneuten Versuch der Europäer und Amerikaner, Asien ohne die Beteiligung der asiatischen Regierungen in Einflusssphären aufzuteilen. Indonesische Politiker warnten angesichts der Konferenz vor einem Rückfall ins Kolonialzeitalter. An der nun anstehenden Neuordnung Asiens, ebenso wie an der Neuordnung der Welt – so ihr gemeinsamer Tenor – müssten auch alle asiatischen und afrikanischen Regierungen beziehungsweise politischen Führer von Unabhängigkeitsbewegungen beteiligt werden. Als Reaktion auf die Genfer Konferenz und um ihren Forderungen nach Mitbestimmung in der internationalen Politik Nachdruck zu verleihen, luden die Regierungen von Ceylon (heute: Sri Lanka), Burma (heute: Myanmar), Indien, Indonesien und Pakistan im Dezember 1954 zu ihrer eigenen Konferenz ein, auf der sie ihre Vorstellungen einer neuen Weltordnung kundtun wollten.3 

Am 18. April 1955 eröffnete der indonesische Präsident Sukarno die asiatisch-afrikanische Konferenz in Bandung, Indonesien. Die Konferenz stand einerseits in der Tradition antikolonialer Treffen, wie sie seit Beginn des 20. Jahrhunderts stattgefunden hatten. Dort waren Strategien zur Überwindung kolonialer Herrschaft und zur Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker sowie vage Visionen einer postkolonialen Welt diskutiert worden.4 Andererseits markierte sie eine deutliche Zäsur: In Bandung fand die erste große internationale Konferenz postkolonialer Staaten statt, denn erstmals reisten zahlreiche Teilnehmer als Repräsentanten eines souveränen Staates an, um den Wandel der internationalen Ordnung zu diskutieren und um dazu Stellung zu beziehen.5 

Bei der Organisation und während der Konferenz standen Organisatoren und Teilnehmer vor einer dreifachen Herausforderung:6 Erstens galt es, die zum Teil widersprüchlichen Einzelinteressen und politischen Überzeugungen aller Delegationen zu berücksichtigen, ohne dass es dadurch zu Konflikten zwischen den Teilnehmern kam. Denn die 340 Delegierten, die an der Konferenz teilnahmen, kamen aus Ländern, die sich zum Teil fundamental in Kultur, Wirtschaft und Politik unterschieden und die zum Teil noch wenige Jahre zuvor gegeneinander Krieg geführt hatten (z.B. Japan gegen einen Großteil der asiatischen Teilnehmer im Zweiten Weltkrieg oder Indien gegen Pakistan nach der Unabhängigkeit beider Länder). Buddhisten trafen auf Hinduisten, Muslime und Christen; Delegierte aus rohstoffarmen Ländern auf Delegierte aus rohstoffreichen Ländern; Abgesandte aus bevölkerungsreichen Staaten auf Abgesandte aus Ländern mit einer kleinen Einwohnerzahl; wenig industrialisierte Staaten auf industrialisierte Staaten; Monarchen, auf autoritäre Diktatoren, Militärbefehlshaber und demokratisch gewählte Premierminister; Kommunisten auf Anhänger des Westens und Neutralisten. Ein Teil der Delegationen kam aus Ländern, die ihre Unabhängigkeit bereits erreicht hatten, andere aus Gebieten, die noch danach strebten.

Auch hatten die Teilnehmer zu Beginn des Treffens keine einheitliche Haltung zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. In den öffentlichen Eröffnungsreden nannten elf Delegationsführer Menschenrechte explizit als wichtigen Baustein einer neuen Ordnung. Darunter waren Charles Malik und Carlos Romulo, die in den vierziger Jahren selbst an der Ausarbeitung der Menschenrechtserklärung beteiligt gewesen waren. Ihnen kam eine Vermittlerfunktion zu zwischen den stärker westlich geprägten Debatten bei den Vereinten Nationen und den Debatten in Bandung. Sie forderten die asiatisch-afrikanischen Staaten zu einem offiziellen Bekenntnis zur Menschenrechtserklärung auf, womit sie allerdings auf Skepsis bei den Staaten stießen, welche die Vereinten Nationen immer noch als von den westlichen Kolonialmächten dominiert ansahen oder denen die Aufnahme in die Vereinten Nationen verweigert wurde, wie zum Beispiel der Volksrepublik China.7

Angesichts dieser zahlreichen und enormen Divergenzen zwischen den Teilnehmern boten die Organisatoren allen Delegationen die Möglichkeit, ihre jeweils partikularen Interessen in öffentlichen Reden zu äußern und sich während der Konferenz als souveräne Regierung zu zeigen. Zugleich forderten sie alle Teilnehmer auf, strittige Themen zu vermeiden. Um Konflikte zu verhindern, einigten sich die Teilnehmer des Weiteren auf eine Beschlussfassung im Konsensverfahren und auf die Verabschiedung einer Abschlusserklärung, die nicht völkerrechtlich bindend war. Dadurch war die Zustimmung aller Teilnehmer zu allen Konferenzbeschlüssen und zum Final Communqiue gewährleistet und umgekehrt konnten alle Teilnehmer sicher sein, dass keine Resolution ihren Interessen widersprach oder sie sich gar zu deren Umsetzung verpflichteten. 

Zweitens war allen Teilnehmern bewusst, dass einvernehmliche Beschlüsse für sie als Delegierte politisch, ökonomisch und militärisch schwacher Länder wichtig waren, um ihren Forderungen gegenüber den nördlichen Industriestaaten Gewicht zu verleihen. Die Herstellung von Gemeinsamkeiten, ein geschlossenes Auftreten als asiatisch-afrikanische Staatengruppe und die Formulierung einer gemeinsamen politischen Position waren folglich zentrale Ziele der Teilnehmer. Angesichts der bereits erwähnten Divergenzen zwischen ihnen gelang dies vor allem über eher vage formulierte Verweise auf eine gemeinsame Vergangenheit, auf gemeinsame Feindbilder, auf eine gemeinsam angestrebte neue Weltordnung und gemeinsame Werte, wozu für die meisten Teilnehmer auch das Bekenntnis zur Menschenrechtserklärung von 1948 gehörte. Alle Teilnehmer hoben in ihren Reden ihr „koloniales Erbe“ und die „kollektive Erfahrung kolonialer Unterdrückung“ hervor. Ähnlich wie auf den antikolonialen Konferenzen der Zwischenkriegszeit, positionierten sie sich gegen Kolonialismus, Imperialismus und Rassismus. Darüber hinaus forderten sie ihre Anerkennung als souveräne Regierungen und ihr gleichberechtigtes Mitspracherecht in der internationalen Politik. Hierzu sei es, so viele Redner, unter anderem notwendig, die Vereinten Nationen zu reformieren, die ihrer Ansicht nach neun Jahre nach ihrer Gründung vor allem die Machtverhältnisse des Jahres 1945 widerspiegelten und konservierten. Unter anderem forderten sie, alle postkolonialen Staaten in die Vereinten Nationen aufzunehmen, das Veto-Recht im Sicherheitsrat abzuschaffen und die Umsetzung aller UN-Resolutionen durch die Mitglieder – vor allem solche zu den Menschenrechten und zum Selbstbestimmungsrecht der Völker.

Drittens war es für die Konferenzteilnehmer wichtig, ihren individuellen und kollektiven Botschaften möglichst weltweite Beachtung zu verschaffen. Ohne großes politisches, ökonomisches oder militärisches Gewicht versuchten sie, ihre politischen Forderungen über die Beeinflussung von Öffentlichkeiten zu erreichen. Hierzu kündigten die Organisatoren die Konferenz weltweit in führenden Zeitungen an und die indonesische Regierung baute im Vorfeld des Treffens das Telekommunikationssystem der Insel aus. Auch während der Konferenz gab es täglich Pressebriefings und andere Gelegenheiten, an denen sich Konferenzteilnehmer und Konferenzbeobachter austauschen konnten. Des Weiteren vermittelten die Teilnehmer ihre Botschaften über viele verschiedene Kanäle: Die indonesische Regierung benannte vor Konferenzbeginn die Hauptstraße Bandungs in Jalan Asia-Afrika (Straße Asien-Afrikas) und das Konferenzgebäude, den früheren niederländischen Club Concordia, in Gedung Merdeka um, was auf Indonesisch Haus der Freiheit bedeutet. Mit diesen Maßnahmen verdeutlichten die Gastgeber das Ende des Kolonialzeitalters und wiesen auf die Entstehung neuer Staaten hin. Zahlreiche andere symbolische Handlungen während des Konferenzverlaufs zielten in eine ähnliche Richtung: Zu nennen wäre hier beispielsweise die eindrucksvolle Eröffnungsveranstaltung, das Hissen der Nationalflaggen der Teilnehmerstaaten, auch wenn diese teilweise noch nicht unabhängig waren, die Verteilung einer Weltkarte, auf der alle Teilnehmer bereits als unabhängige Staaten eingezeichnet waren, oder das öffentliche Auftreten der Teilnehmer als Repräsentanten souveräner Staaten. Auch das am letzten Tag der Öffentlichkeit präsentierte Final Communique diente nicht nur dazu, die Konferenzbeschlüsse festzuhalten, sondern auch dazu, noch einmal die Aufmerksamkeit der anwesenden ca. 700 Journalisten und Diplomaten auf die zentralen Konferenzforderungen zu lenken.8 

Die Konferenz und das Final Communique waren sowohl das Produkt einer globalen Umbruchsituation auf die asiatische und afrikanische Politiker reagierten, als auch ganz konkret der Kompromiss aus drei unterschiedlichen Anforderungen, mit denen sich die Konferenzteilnehmer konfrontiert sahen: Dem Wunsch der Teilnehmer, partikulare Interessen zu artikulieren, der Formulierung kollektiver Forderungen und der Berücksichtigung medialer Aufmerksamkeits-Logiken

Inhalt

Am letzten Tag der Konferenz, am 24. April 1955, veröffentlichten die 29 teilnehmenden asiatischen und afrikanischen Staaten respektive Kolonien das von ihnen unterzeichnete Final Communique of the Asian-African Conference. In der Präambel führten sie darin zunächst alle von Delegationen vertretene Länder auf. Gleich zu Beginn machten sie damit deutlich, dass sie alle Delegationen als legitime und souveräne Vertreter ihrer Staaten ansahen, auch wenn zumindest ein Teil dieser Staaten de facto noch von einer Kolonialmacht beherrscht wurde. Damit übten sie gleich zu Beginn des Communique in wenigen Sätzen Druck auf die Kolonialmächte aus und stellten deren Herrschaftsanspruch in Frage.

Anschließend skizzierten die Unterzeichner ihre gemeinsame Position zu Fragen der internationalen Politik entlang von sechs Themenkomplexen (A. – F.) ehe sie ihre zentralen Forderungen am Ende (Punkt G.) noch einmal in Form von zehn Prinzipien des internationalen Miteinanders zusammenfassten: 

A. Economic Co-operation

B. Cultural Co-operation

C. Human Rights and Self-Determination

D. Problems of Dependent Peoples

E. Other Problems

F. Promotion of World Peace and Co-operation

G. Declaration on the Promotion of World Peace and Co-operation

Die in diesen Punkten festgehaltenen Kernaussagen und Forderungen der asiatischen und afrikanischen Staaten lauteten zusammengefasst: Die Zeit des Kolonialismus sei vorbei, jegliche Form kolonialer Herrschaft müsse sofort beendet werden; die Konferenzteilnehmer seien als die neuen Regierungen der asiatischen und afrikanischen Staaten anzuerkennen, Interventionen und Einmischungen in die inneren Angelegenheiten eines Staates gelte es abzulehnen; die Menschenrechtserklärung und das Recht auf Selbstbestimmung müssten umgesetzt werden; alle Teilnehmerstaaten seien in die Vereinten Nationen aufzunehmen und bei der Diskussion internationaler Fragen miteinzubeziehen.

Um die Aktualität ihrer Forderungen zu unterstreichen, führten die Unterzeichner im Dokument immer wieder konkrete Beispiele an, um zu zeigen, dass diese Ziele im Jahr 1955 noch nicht erreicht seien. Zum Beispiel würden koloniale Herrschaftsformen – unter Inkaufnahme von Menschenrechtsverletzungen und trotz des damit verbundenen Verstoßes gegen das Selbstbestimmungsrecht der Völker – unter anderem noch in Algerien, Marokko und Tunesien existieren. Außerdem seien nicht alle asiatischen und afrikanischen Staaten in die Vereinten Nationen aufgenommen worden, was für friedliche und gleichberechtigte Diskussionen internationaler Fragen wie der Regelung von Wirtschaftsbeziehungen, Abrüstung und dem Umgang mit Atomenergie aber notwendig sei. In diesen Beispielen verknüpften sich häufig partikulare Forderungen einzelner Delegationen mit übergeordneten Forderungen, die von allen Teilnehmern getragen wurden.

Um die Legitimität ihrer Forderungen zu untermauern, griffen die Teilnehmer, wie bereits während ihrer Konferenzreden und symbolischen Aktionen, im Communique auf zeitgenössische völkerrechtliche Debatten und Abkommen zurück und deuteten sie in ihrem Sinne um. Im relativ kurzen Abschnitt C. Human Rights and Self-Determination beispielsweise bekannten sie sich nach vorangegangenen Kontroversen zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen und dem Recht auf Selbstbestimmung. Diese Rechte würden durch das Fortbestehen von kolonialer Herrschaft, Rassismus und Apartheid jedoch permanent verletzt. Zur Durchsetzung der Menschenrechte sei daher die Beseitigung von kolonialer und rassistischer Herrschaft erforderlich. Darüber hinaus forderten die Unterzeichner des Communiques die Durchsetzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker zu dem sich sowohl die USA als auch die Sowjetunion bekannt hatten, und das durch die Existenz von Kolonien konterkariert würde. In der Lesart der asiatischen und afrikanischen Staaten waren die beiden Konzepte – Menschenrechte und Selbstbestimmung – eng mit einander verknüpft. Menschenrechte wurden damit während der Konferenz und in der Abschlusserklärung thematisiert und die Zahl ihrer Unterstützer erweiterte sich in der asiatisch-afrikanischen Welt, sie standen jedoch nicht im Vordergrund der Diskussionen oder kollektiven Forderungen.

Das Final Communique ermöglichte damit zwei Lesarten: Einerseits konnte es als kollektive Forderung aller Teilnehmer zur Abschaffung kolonialer Herrschaft bei gleichzeitiger Anerkennung ihrer staatlichen Souveränität sowie als Bekenntnis zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verstanden werden. Andererseits ließ es sich auch als konkrete Kritik an bestimmten Formen von Unterdrückung, wie z.B. in Südafrika oder in den französischen Kolonien oder am Ausschluss von asiatischen und afrikanischen Staaten aus den Vereinten Nationen lesen. Je nach Gewichtung und Situation konnten Konferenzteilnehmer und Rezipienten nach der Konferenz daher – auch je nach Zuhörerschaft – entweder die zentralen Hauptaussagen oder einzelne Beschlüsse des Dokumentes hervorheben. Hier stellt sich die Frage, wie Zeitgenossen die Konferenz und das Communique rezipierten und welche Deutungen sich durchsetzten.

Wirkungsgeschichte

Die Konferenz stellte das erste große, internationale Treffen postkolonialer Staaten dar. Deshalb stieß sie weltweit bei Journalisten und Politikern auf eine kaum zu überschätzende Resonanz. Diese wiederum beschrieben und interpretierten in einer wahren Flut an Zeitungsartikeln, politikwissenschaftlichen Analysen und politischen Memoranden den Verlauf der Konferenz. Das Final Communique war dabei ein wesentlicher Faktor, der die Rezeption der Konferenz beeinflusste, er blieb aber bei weitem nicht der einzige. Denn ihre politischen Kernforderungen versuchten die Konferenzteilnehmer durch verschiedene symbolische Handlungen wie Straßenumbenennungen oder Hissen von Nationalflaggen und in zahlreichen öffentlichen Reden über möglichst viele Kanäle, beispielsweise durch politische Weltkarten, Nachrichtenbulletins für Journalisten und die Abschlusserklärung zu vermitteln. Die politische Wucht, die von der Bandung-Konferenz ausging, lässt sich deshalb nur dann erfassen, wenn alle Handlungen seitens der Konferenzteilnehmer auch in ihrer symbolpolitischen Dimension vor, während und nach der Konferenz berücksichtigt werden. 

Weltweit stimmten alle Beobachter darin überein, dass die Bandung-Konferenz eines der wichtigsten politischen Ereignisse des 20. Jahrhunderts darstelle, unabhängig davon ob die Berichterstatter aus dem westlichen, östlichen, oder dem postkolonialen Lager stammten und unabhängig davon ob sie sich als Individuum, als Vertreter einer sozialen Bewegung, als wissenschaftlicher Experte, Journalist oder als Regierungsmitglied äußerten. In sich gegenseitig überbietenden Superlativen hoben sie die Zäsur von Bandung hervor, die sie darin sahen, dass sich die postkolonialen Staaten Asiens und Afrikas erstmals ohne Beteiligung eines „Weißen“ Staates zu einer internationalen Konferenz getroffen und solidarisiert hatten. Das Bekenntnis der Konferenzteilnehmer zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte wurde in den meisten Berichten über die Konferenz jedoch nicht oder nur am Rande erwähnt. Das von Bandung ausgesandte und weltweit verstandene Signal lautete, dass das Kolonialzeitalter zu Ende sei und die Staaten Asiens und Afrikas zukünftig internationale Politik mitgestalten würden. Die Konferenz markierte einen Wandel in der Wahrnehmung der Konferenzteilnehmer von den Anführern antikolonialer Bewegungen hin zu legitimen Regierungsoberhäuptern souveräner Staaten.9

In der Bewertung dieser Entwicklung unterschieden sich die Positionen der Beobachter jedoch stark. Auch waren sie sich nicht einig in der Frage, wie die von den afroasiatischen Staaten geforderte neue Weltordnung genau aussehen würde. Die Aussagen der Konferenzteilnehmer und des Final Communiques waren zu vage, um darin eine konkrete Antwort auf diese Frage zu finden. Dies eröffnete Räume für Spekulationen und zahlreiche Zeitgenossen projizierten ihre Hoffnungen oder Befürchtungen auf die afroasiatischen Staaten als neuen Machtfaktor der internationalen Politik. Das Spektrum der Prognosen war breit: Auf der einen Seite standen Warnungen in australischen und südafrikanischen Zeitungen vor einem Dritten Weltkrieg zwischen den „Farbigen“ und den „Weißen“ Völkern. Auf der anderen Seite artikulierten Friedensaktivisten in Europa und Civil Rights Aktivisten in den USA die Hoffnung, dass sich die afroasiatischen Staaten für Abrüstung, Menschenrechte und ein friedliches Miteinander einsetzen würden. Die meisten Regierungen in Ost und West kamen zu realistischeren Einschätzungen. Sie erkannten die postkolonialen Staaten als neue und wichtige Akteure in den internationalen Beziehungen an, die möglicherweise sogar entscheidend auf den Ost-West-Konflikt einwirken könnten. Im Kreml und im Weißen Haus, aber auch in den europäischen Hauptstädten begannen die jeweiligen Außenministerien daher mit der Ausarbeitung von Strategien zum Umgang mit den postkolonialen Staaten, welche zunehmend häufiger auch als „Dritte Welt“ bezeichnet wurden.10

Die Konferenz war ein Produkt und Kristallisationspunkt globaler Transformationen der vierziger und fünfziger Jahre und zugleich ein kraftvoller Impuls zur Beseitigung der alten kolonialen Ordnung und für das postkoloniale state-building. Innerhalb der postkolonialen Welt trug das Treffen zur Herrschaftsstabilisierung der neuen Regierungen und zu deren Legitimierung bei. Die Konferenzteilnehmer gewannen an Profil, was zugleich dazu führte, dass es trotz des großen Erfolges der Konferenz und trotz mehrerer Versuche, diese zu wiederholen, zu keiner zweiten Bandung-Konferenz kam. Denn in dem Maße, in dem die Teilnehmer sich ihrer Anerkennung als souveräne Regierungen sicher sein konnten und in dem sich die europäischen Kolonialreiche auflösten, schwand auf internationaler Ebene ihre Kompromissbereitschaft. Unterschiedliche nationalstaatliche Interessen, regionale Divergenzen und unterschiedliche Positionierungen der Bandung-Staaten im Ost-West-Konflikt verhinderten eine weitere Asiatisch-Afrikanische Konferenz, weshalb diese auf institutioneller Ebene einmalig blieb.11 

Innerhalb der Vereinten Nationen, auf Konferenzen afrikanischer Staaten und in anderen Expertennetzwerken beziehungsweise Nicht-Regierungs-Organisationen wie der im Jahr 1957 gegründeten Afro-Asian People's Solidarity Organisation setzten die asiatischen und afrikanischen Staaten ihre Kooperation aber durchaus fort. Auch unter Ausnutzung des Ost-West-Gegensatzes gelang ihnen dadurch teilweise die Durchsetzung ihrer in Bandung formulierten Forderungen. In den Jahren nach der Konferenz wurden nahezu alle asiatischen und afrikanischen Staaten offiziell in die Vereinten Nationen aufgenommen, wodurch sich ihr Stimmgewicht dort in zahlreichen Organen und Arbeitsgruppen erhöhte. Dies nutzten sie wiederum, um ihren miteinander verkoppelten Forderungen nach der endgültigen und weltweiten Beendigung kolonialer Herrschaft sowie der Loslösung von rassistischer und religiöser Unterdrückung einerseits, und der Anerkennung des Selbstbestimmungsrechts der Völker und der Menschenrechtserklärung andererseits, größere Aufmerksamkeit und Verbindlichkeit zu verschaffen. Im Jahr 1960 resultierten diese spätestens mit Bandung begonnenen Bemühungen der asiatischen und afrikanischen Staaten in der von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedeten Resolution 1514: Declaration on the Granting of Independence to Colonial Countries and Peoples. Drei Jahre später verabschiedete die Generalversammlung Resolution 1904: Declaration on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination. In beiden Resolutionen war das Bekenntnis zu den Menschenrechten und zum Selbstbestimmungsrecht der Völker eng mit der Ablehnung von Kolonialismus und anderen auf Geschlecht, Hautfarbe oder Religion basierenden Diskriminierungen verknüpft. In der Logik der Deklaration waren Menschenrechte und Selbstbestimmung nicht ohne die Ablehnung von kolonialer Herrschaft und innergesellschaftlicher Unterdrückung zu haben. Mit der Verabschiedung beider Resolutionen wurde diese Logik dann auch offiziell von den Vereinten Nationen gestützt und mitgetragen. Den asiatischen und afrikanischen Staaten war es gelungen, die Debatten um den inhaltlichen Kern von Menschenrechten ein stückweit zu verschieben und auf den Nexus Menschenrechte/staatliche Selbstbestimmung versus Kolonialismus/soziale Unterdrückung auszurichten. Einzelne Länder wie Jamaika, Liberia oder Ghana forcierten diese Entwicklung in den sechziger Jahren und trugen zur Etablierung dieses spezifischen Menschenrechtsverständnisses bei, was sich auch in den Aushandlungen der 1966 und 1976 in Kraft getretenen Menschenrechtspakte zeigte. Deren Form, Inhalt und Wirkungsraum wurden seit Ende der vierziger Jahre in der UN-Menschenrechtskommission von Vertretern östlicher und westlicher Staaten kontrovers diskutiert. Die Eingaben afghanischer und saudi-arabischer Vertreter hatten hingegen zunächst kaum Auswirkungen auf den Verlauf der Debatten. Dies änderte sich allerdings nach der Bandung-Konferenz. Danach nahm erstens die Zahl asiatischer und afrikanischer Vertreter in den Verhandlungen zu und zweitens konnten diese auf das Final Communique von Bandung verweisen, als Ausdruck des gemeinsamen politischen Willens der asiatischen und afrikanischen Staaten. Die ideologischen und politischen Debatten um die Menschenrechtspakte erhielt neben der Ost-West- damit auch eine Nord-Süd-Dimension. Zugleich gelang es den asiatischen und afrikanischen Staaten ihr Verständnis vom Zusammenhang zwischen Menschenrechten und Selbstbestimmung in den Pakten zu verankern. Dadurch prägten sie einerseits bis in die neunziger Jahre internationale Menschenrechtsdebatten, andererseits stieß ihre Lesart in dem Maße auf Kritik, in dem westliche Staaten und NGOs auf Menschenrechtsverletzungen durch souveräne Regierungen in den Ländern des Globalen Südens hinwiesen.12 

Kommentierte Bibliographie

Jamie Mackie: Bandung 1955. Non-Alignment and Afro-Asian Solidarity. Singapur 2005.

Die Asiatisch-Afrikanische Konferenz von Bandung 1955 wurde bisher nur selten in Form eigenständiger Monographien analysiert und interpretiert. Eine Ausnahme stellt das Werk von Jamie Mackie dar. Pünktlich zum 50jährigen Jubiläum der Konferenz legte er im Jahr 2005 die bisher einzige Publikation vor, die den Anspruch einer Gesamtdarstellung erhebt. Darin beschreibt Mackie die Konferenz sowohl als Produkt des sich in die außereuropäische Welt verlagernden Ost-West-Konflikts, als auch der Dekolonisierung und der Süd-Süd-Kooperation. Eher deskriptiv angelegt bietet die Monographie einen soliden Überblick über die wesentlichen internationalen und regionalen Kontexte der Konferenz, ihre Teilnehmer und ihren Verlauf. Die zahlreichen verwendeten Schaubilder und Illustrationen helfen bei der Orientierung und vermitteln einen ersten Eindruck des Ereignisses, wobei Mackies Darstellung in den letzten Jahren in viele Richtungen ausdifferenziert wurde.
 

Christopher James Lee (Hg.): Making a World after Empire. The Bandung Moment and its Political Afterlives. Athens/Ohio 2010.

Robert Vitalis: The Midnight Ride of Kwame Nkrumah and Other Fables of Bandung (Ban-doong), in: Humanity 4:2 (2013), S. 261-288.

Luis Eslava, Michael Fakhri, Vasuki Nesiah (Hg.): Bandung, Global History, and International Law. Critical Pasts and Pending Futures. Cambridge 2017.

Den umfassendsten Forschungsüberblick über Neuerscheinungen und Neuperspektivierungen der Bandung-Konferenz bis in die 2000er Jahre bietet Christopher Lee. Der Überblick bietet einen guten Einstieg in die wissenschaftliche Beschäftigung mit der Konferenz. Einen weiteren wichtigen, Lees Beitrag ergänzenden Forschungsüberblick hat Robert Vitalis vorgelegt. Seiner Beobachtung nach hat die lange Zeit nur randständige wissenschaftliche Beschäftigung mit der Bandung-Konferenz, häufig ohne Konsultation der Primärquellen, dazu geführt, dass sich in den Publikationen hierzu eine ganze Reihe an faktischen Fehlern eingeschlichen haben – beispielsweise die häufig wiederholten aber falschen Aussagen, das Ghanas Präsident Kwame Nkrumah und Jugoslawiens Ministerpräsident Josip Broz Tito an der Konferenz persönlich teilgenommen hätten. In seinem Beitrag durchforstet Vitals große Mengen an Literatur – von Handbuchartikeln über umfangreiche Gesamtdarstellungen bis hin zu Spezialaufsätzen – und identifiziert faktisch falsche Aussagen. Sein Aufsatz stellt damit ein wichtiges Korrektiv zur vorhanden Forschungsliteratur dar. Den aktuellsten Forschungsüberblick haben im Jahr 2017 Luis Eslava, Michael Fakhri und Vasuki Nesiah vorgelegt, wobei ihr Augenmerk und der des gesamten Sammelbandes auf drei Aspekten liegt: den globalen Verflechtungen zwischen der Konferenz und anderen an Dekolonisierung interessierten Akteuren; den Auswirkungen der Konferenz auf das Völkerrecht und der Rezeption der Konferenz bis in die Gegenwart.
 

Vijay Prashad: Bandung, the 1955 Afro-Asian Conference, in: Vijay Prashad (Hg.): The Darker Nations. A People's History of the Third World. New York 2007, S. 31-50.

Nico Slate: Colored Cosmopolitanism. The Shared Struggle for Freedom in the United States and India, Cambridge/Massachusetts 2012.

Jürgen Dinkel: Die Bewegung Bündnisfreier Staaten. Genese, Organisation und Politik (1927-1992), Berlin 2015 (siehe vor allem die Seiten 59-98).

Zahlreiche Studien zum Ost-West-Konflikt und zu den internationalen Beziehungen nach 1945 haben die Bandung-Konferenz lange Zeit hauptsächlich als Reaktion auf den sich in den fünfziger Jahren globalisierenden Kalten Krieg interpretiert. Demgegenüber verstehen neuere Studien – wie die von Dinkel, Slate und Prashad – die Konferenz stärker als Teil der Dekolonisierung und der Süd-Süd-Kooperation sowie als einen wichtigen Moment des postkolonialen state-building, in dem die postkolonialen Staaten auch als Akteure in den internationalen Beziehungen sichtbar wurden und überhaupt erst in den Fokus der beiden Supermächte gerieten.
 

Kweku Ampiah: The Political and Moral Imperatives of the Bandung Conference of 1955. The Reactions of the US, UK and Japan. Kent 2007.

Derek McDougall, Antonia Finnane (Hg.): Bandung 1955. Little Histories. Monash 2010.

See Seng Tan, Amitav Acharya (Hg.): Bandung Revisited. The Legacy of the 1955 Asian-African Conference for International Order. Singapur 2008.

Quinn Slobodian: Bandung in Divided Germany. Managing Non-Aligned Politics in East and West, 1955–63, in: The Journal of Imperial and Commonwealth History 41:4 (2013), S. 644–662.

Luis Eslava, Michael Fakhri, Vasuki Nesiah (Hg.): Bandung, Global History, and International Law. Critical Pasts and Pending Futures. Cambridge 2017.

Am weitesten ist die historische Forschung zur Bandung-Konferenz sicherlich in der Frage, wie einzelne Regierungen und wissenschaftliche Experten aus teilnehmenden und nicht teilnehmenden Ländern respektive Kolonien die Konferenz wahrgenommen und interpretiert haben. Die meisten Studien liegen dabei zu den Deutungen westlicher Länder vor, weshalb sie am detailliertesten herausgearbeitet sind. Wenige Arbeiten haben sich mit der Selbstwahrnehmung der Teilnehmer beschäftigt. Die Sicht der Ostblockstaaten auf die Konferenz markiert momentan noch das größte Forschungsdefizit. Die Studien von Kweku Ampiah, einzelne Beiträge in den Sammelbänden von McDougall/Finnane, Tan/Amitav und Eslava/Fakhri/Nesiah sowie der Aufsatz von Slobodian stehen beispielhaft für diesen Bereich der Forschung, dessen Ergebnisse sich dahingehend zusammenfassen lassen, dass zwar alle Beobachter der Konferenz große Bedeutung für die internationalen Beziehungen beimaßen, konkrete Bewertungen der Konferenz und daraus gezogenen Schlussfolgerungen jedoch je nach Beobachter anders ausfielen.
 

Naoko Shimazu: Performing “Freedom”: The Bandung Conference as Symbolic Post-Colonial Diplomacy’, in: J. Dittmer and F. McConnell (Hg.): Diplomatic Cultures: Translations, Spaces, and Alternatives. London 2016), S. 59-76.

Naoko Shimazu: Women “Performing” Diplomacy at the Bandung Conference of 1955, in: Darwis Khudori (Hg.): Bandung at 60: New Insights and Emerging Forces, Yogyakarta/Delhi 2015/2016, S. 34-49.

Naoko Shimazu: "Diplomacy as Theatre": Recasting the Bandung Conference of 1955 as Cultural History, in: Asia Research Institute Working Paper Series (2011), H. 164, S. 1–19.

Naoko Shimazu hat als erste Historikerin das umfangreich vorhandene visuelle Quellenmaterial unter kulturgeschichtlichen und praxeologischen Fragestellungen ausgewertet. In ihren Aufsätzen hat sie überzeugend unter anderem die Inszenierung der Konferenz analysiert, dabei auf die bis dahin in der Forschung weitgehend ignorierte Rolle von Frauen hingewiesen und gezeigt, wie in Bandung postkoloniales state-building praktiziert wurde. Zurzeit arbeitet Sie an einer Gesamtdarstellung der Konferenz, die in den nächsten Jahren erscheinen soll.
 

Fabian Klose: Menschenrechte im Schatten kolonialer Gewalt. Die Dekolonisierungskriege in Kenia und Algerien 1945-1962. München 2009.

Roland Burke: Decolonization and the Evolution of International Human Rights. Philadelphia 2010.

Roland Burke: “The Compelling Dialogue of Freedom”: Human Rights at the Bandung Conference, in: Human Rights Quarterly 28 (2006), S. 947–965.

Jan Eckel: Human Rights and Decolonization: New Perspectives and Open Questions, in: Humanity 1:1 (2010), S. 111–135.

Steven L. B. Jensen: The Making of International Human Rights. The 1960s, Decolonization, and the Reconstruction of Global Values. Cambridge 2016.

Fabian Klose und Roland Burke haben maßgeblich zur Verknüpfung zweier Forschungsfelder beigetragen: dem zur Menschenrechtsgeschichte und dem zur Dekolonisation. Unter anderem haben sie darauf hingewiesen, dass sich die Teilnehmer in Bandung auf die Menschenrechtserklärung von 1948 beriefen und dass einzelne Konferenzteilnehmer wie Charles Malik selbst an der Ausarbeitung der Menschenrechtsdeklaration beteiligt waren. Damit haben sie für beide Forschungsfelder neue Frageperspektiven eröffnet: Wie haben sich Menschenrechte auf den Prozess der Dekolonisation ausgewirkt? Wie wurden Menschenrechte in der postkolonialen Welt rezipiert, wie verbreiteten sie sich dort und welche Akteure aus der postkolonialen Welt haben in welchen Kontexten und aus welchen Interessen heraus an internationaler Menschenrechtspolitik mitgewirkt und diese beeinflusst? Beide Autoren messen den Menschenrechten tendenziell eine größere Bedeutung für den Verlauf der Dekolonisation zu. Demgegenüber argumentiert Jan Eckel, dass der Verweis auf Menschenrechtsverletzungen in den Kolonien den Verlauf der Dekolonisation nur marginal beeinflusst habe und dass die meisten antikolonialen Akteure sich auf Menschenrechte beriefen, da sie darin ein Instrument zur Delegitimierung kolonialer Herrschaft sahen. Steven Jensen, wiederum, arbeitet in seiner Studie heraus, wie vor allem staatliche Akteure aus dem Globalen Süden Menschenrechtsdebatten sowie Definitionen von Menschenrechten beeinflussten, wobei der zeitliche Schwerpunkt seiner Analyse auf den sechziger Jahren liegt.
 

Darwis Khudori: Bandung Conference: The Fundamental Books, in: Darwis Khudori (Hg.), Bandung at 60. New Insights and Emerging Forces. Yogyakarta 2015, S. 3-33.

The Ministry of Foreign Affairs Republic of Indonesia (Hrsg.), Asia-Africa Speaks from Bandung. Jakarta 1955.

George McTurnan Kahin: The Asian-African Conference. Bandung, Indonesia, April 1955. Ithaca/New York 1956.

Carlos P. Romulo, The Meaning of Bandung. Chapel Hill 1956.

Charles H. Malik: The Problem of Coexistence. Evanston, Ill. 1955.

Roeslan Abdulgani: The Bandung Connection. The Asia-Africa Conference in Bandung 1955. Singapore 1981.

Richard Wright: The Colour Curtain. New York 1956. 

Die Asiatisch-Afrikanische Konferenz hat, als bewusst für die Weltöffentlichkeit inszeniertes Ereignis, eine kaum zu übersehende Flut an zeitgenössischen politischen Einschätzungen, Berichten der Massenmedien und Stellungnahmen der Teilnehmer hervorgebracht. Darwis Khudori hat sich bisher als Einziger darin versucht, die zeitgenössische Berichterstattung über die Bandungkonferenz systematisch zu erfassen und zu bewerten. Angesichts der kaum zu überschauenden Resonanz, auf welche die Konferenz stieß, bietet Khudoris Beitrag wichtige Anhaltspunkte zur weiteren quellenbasierten Erforschung, auch wenn sein Beitrag gezwungenermaßen keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt.

Zentral für die historische Auseinandersetzung mit der Konferenz ist die vom indonesischen Außenministerium – bereits wenige Monate nach Abschluss der Konferenz – herausgegebenen Dokumentensammlung „Afro-Asia Speaks“. Darin finden sich ein Großteil der Konferenzreden, die Abschlussdeklaration sowie Informationen zu den Teilnehmerdelegationen. Für die Rekonstruktion des öffentlichen Teils der Konferenz stellt der Band die umfassendste Anthologie dar. Die gleiche Zielsetzung verfolgt die von George McTurnan Kahin vor allem für die amerikanische Öffentlichkeit herausgegebene Sammlung wichtiger Konferenzdokumente, die allerdings weniger umfangreich ausfällt.

Eine ganze Reihe an Konferenzteilnehmern und -beobachtern hat im Anschluss an die Konferenz eigene Deutungen des Treffens vorgelegt. Beispielhaft sei auf die Publikationen von Carlos Romulo, Charles Malik, Richard Wright und mit größerem zeitlichen Abstand auf die von Roeslan Abdulgani verwiesen. Erst in Ansätzen (beispielsweise durch Naoko Shimazu) ausgewertet ist das im Archiv des Museum Konferensi Asia Afrika in Bandung umfangreich vorhandene visuelle Quellenmaterial (z.B. Filme, Fotografien, Plakate, Weltkarten).

Literatur

Boden, Ragna: Die Grenzen der Weltmacht. Sowjetische Indonesienpolitik von Stalin bis Brežnev. Stuttgart 2006.

Dinkel, Jürgen: „Dritte Welt“ - Geschichte und Semantiken (2014), in: Docupedia-Zeitgeschichte, docupedia.de/zg/dinkel_dritte_welt_v1_de_2014. 

Eschen, Penny M. von: Race against Empire. Black Americans and Anticolonialism 1937 – 1957. Ithaca/New York/London 1997.

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Zitation

Jürgen Dinkel: Das Abschluss-Communiqué der Asiatisch-Afrikanischen Konferenz in Bandung (1955), in: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte, hg. v. Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, März 2019, URL: www.geschichte-menschenrechte.de/bandung-konferenz

  1. Mazower: No Enchanted Palace; Westad: The Global Cold War; Jansen/Osterhammel: Dekolonisation.
  2. Frey: Dekolonisierung. 
  3. Final Communique, Conference of South-East Asian Prime Ministers und Joint Communique of the Bogor Conference, in: The Ministry of Foreign Affairs Republic of Indonesia: Asia-Africa Speaks, S. 221-226.
  4. Manela: Wilsonian Moment; Fisch: Selbstbestimmungsrecht der Völker; Petersson: Anti-Imperialist Movement; Mishra: Aus den Ruinen.
  5. Dinkel: Bewegung Bündnisfreier Staaten, S. 59-98. Die Teilnehmer der Konferenz kamen aus Afghanistan, Ägypten, Äthiopien, Burma (heute; Myanmar), Ceylon (heute: Sri Lanka), Volksrepublik China, Goldküste (heute: Ghana), Indien, Indonesien, Iran, Irak, Japan, Jemen, Jordanien, Kambodscha, Laos, Libanon, Liberia, Libyen, Nepal, Pakistan, Philippinen, Saudi-Arabien, Sudan, Syrien, Thailand, Türkei, Nord-Vietnam und Süd-Vietnam.
  6. Siehe für diese drei Punkte beispielhaft die Eröffnungsrede von Sukarno: Speech by President Sukarno of Indonesia at the Opening of the Conference, in: The Ministry of Foreign Affairs Republic of Indonesia: Asia-Africa Speaks, S. 19-29.
  7. Burke: Compelling Dialogue; Burke: Afro-Asian Alignment.
  8. Shimazu: Diplomacy.
  9. Dinkel: Bewegung, S. 77-95.
  10. Ampiah: Political and Moral Imperatives; Statler/Johns: Eisenhower Administration; Eschen: Race against Empire; Boden: Grenzen der Weltmacht; Hilger: Sowjetisch-indische Beziehungen; Dinkel: Dritte Welt. 
  11. Jansen: Afro-Asia; Lüthi: Non-Alignment.
  12. Ridder: Menschenrechtspakte; Jensen: Making of International Human Rights; Eslava/Fakhri/Nesiah: Bandung; Leemann: Entwicklung.