Zu sehen ist ein relativ unscheinbarer Gebrauchsgegenstand: eine weiße Tasse aus schmuckloser Keramik, wie sie sich in unzähligen Haushalten in unterschiedlichen Ausführungen findet. Ungewöhnlich ist jedoch das auf die Tasse gedruckte Motiv. Hält man sie in der rechten Hand, so schaut einem ein junger Mann mit ernstem Gesicht direkt in die Augen.
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Das Bild ist hinter Gitterstäbe montiert und eingerahmt von der Aufschrift: „Release Mandela!“ Auf der Rückseite findet sich eine kurze Geschichte, die sich mit dem Bild auf der Vorderseite verbindet: „Mathews Ntshiwa, a Black South Africa factory worker, was sentenced to 18 months in prison for having the words ‚RELEASE NELSON MANDELA‘ inscribed on his tea mug. In court he said ‘I only used to drink tea out of the mug.’” Darunter findet sich noch einmal die politische Botschaft: “FREE NEELSON MANDELA AND ALL SOUTH AFRICAN AND NAMIBIAN POLITICAL PRISONERS!“
Die Tasse wurde zuerst im Jahr 1983 produziert, demselben Jahr, in dem Mathews Ntshiwa zu der im Text erwähnten Haftstrafe verurteilt wurde. Die Tasse fungierte somit auch als ein Informationsmedium, über das ein Menschenrechtsverbrechen, das in der Presse vermutlich kaum größere Aufmerksamkeit erfuhr, mit Hilfe eines Alltagsgegenstands gegenüber Unterstützer:innen der Anti-Apartheid-Bewegung kommuniziert werden konnte. Die Logik der beiden Botschaften auf der Tasse hatte dabei einen besonderen Effekt, der darauf zielte, eine unmittelbare Verbindung und Solidarität zu generieren. Denn ebenso wie Mathews Ntshiwa hielten nun auch Menschen in Großbritannien eine Tasse mit der Aufschrift „Free Nelson Mandela“ in der Hand – und dachten womöglich darüber nach, was es hieße, in einem Land zu leben, in dem man hierfür verurteilt und ins Gefängnis gebracht werden konnte.
Die Tasse wurde von der lokalen Anti-Apartheid-Gruppe im nordlondoner Stadtteil Brent produziert und war Teil einer größeren Gruppe von Konsum- und Alltagsprodukten der britischen Anti-Apartheid-Bewegung, die ab den frühen 1980er Jahren hergestellt und an Unterstützer:innen verkauft wurden. Sie lassen sich als eine Form des politisch motivierten Merchandise verstehen, bei dem Prinzipien der Konsumkultur auf die Öffentlichkeits- und Fundraisingarbeit von NGOs übertragen wurden. Neben Tassen mit unterschiedlichen Motiven nutzten Aktivist:innen hierfür auch zahlreiche weitere Produkte wie Buttons und Anstecker, Schmuck, T-Shirts oder Einkaufstüten. Die Produkte waren einerseits dadurch gekennzeichnet, dass sie sich mit relativ geringem Aufwand herstellen ließen. Vor allem aber wurden Produkte ausgewählt, die einen Alltagsbezug herstellten oder aber am eigenen Körper in der Öffentlichkeit präsentiert werden konnten. Auf diese Weise zog das Thema der südafrikanischen Apartheid in direkter Weise in den Alltag britischer Haushalte ein.
Hierin liegt auch der Grund, warum es lohnt, solche scheinbar eher profanen und nebensächlichen Objekte in eine Geschichte der Menschenrechte zu integrieren. Sie sind Teil einer Entwicklung, die ich als alltagsgeschichtliche Einbettung des Menschenrechtsengagements bezeichnen möchte. Diese Einbettung stellt einen wichtigen Aspekt des in der Forschung auf vielfältige Weise beschriebenen „Durchbruchs“ der Menschenrechte als Sprache einer universalistischen Moral in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar.[1] Die Konsum- und Alltagsprodukte lassen sich somit als Teil einer Entwicklung verstehen, in der die Sprache der Menschenrechte aus dem Feld des Rechts und der internationalen Politik in einen gesamtgesellschaftlichen Diskurs diffundierte und auf diese Weise auch neue Formen des zivilgesellschaftlichen Engagements eröffnete. Alltagsgegenstände wie die abgebildete Tasse waren hierfür von zentraler Bedeutung. Sie erlaubten es einer größeren Gruppe von Menschen, auf eine relativ niedrigschwellige Art ihre Empörung über das südafrikanische Apartheidsystem und ihre Solidarität mit der schwarzen Bevölkerung des Landes zu artikulieren.
Diese Art der Nutzung von Alltags- und Konsumprodukten war in der Zeit alles andere als neu. Am offensichtlichsten sind vermutlich die Analogien zu jener sozialen Bewegung, die häufig als erste Menschenrechtsbewegung der Moderne bezeichnet worden ist: dem transatlantischen Abolitionismus. Auch hier spielten Alltagsprodukte als politische Medien eine wichtige Rolle. Aus dem großen Korpus an materiellen Objekten, die in diesem Kontext erschienen, ragt ein Objekt als besonders ikonisch heraus: das von Josiah Wedgwood gestaltete Medaillon, das unter dem Satz „Am I not a man and a brother?“ einen an Händen und Füßen gefesselten Sklaven zeigt.[2] Das Bild gehört zu den zeitgenössisch bekanntesten Darstellungen der Schrecken der Sklaverei und fand auf unzähligen Alltagsobjekten seinen Platz: auf kleinen Medaillons ebenso wie auf Suppenschalen, Tellern oder Münzen. Die Ikonographie hat dabei offensichtliche Überschneidungen – und ebenso offensichtliche Unterschiede – zu der Darstellung auf der Tasse der Anti-Apartheid-Bewegung: In beiden Fällen spielt die Darstellung als Gefangene eine zentrale Rolle – einmal durch die Ketten, im anderen Fall durch die Gitterstäbe des Gefängnisses – und in beiden Fällen entsteht die besondere Wirkung durch die Darstellung einer einzelnen Person, an der ein sehr viel weitreichenderes politisch-gesellschaftliches Phänomen exemplifiziert wird. Gleichzeitig fallen aber auch die Unterschiede ins Auge: Während die Darstellung des Sklaven in der Körperhaltung, dem nach oben gerichteten Blick und den wie zum Gebet gefalteten Händen die Hilflosigkeit der Person betont und klar darauf gerichtet ist, Mitleid hervorzurufen, betont das Bild von Nelson Mandela, der dem oder der Betrachter:in direkt in die Augen schaut, eher ein Gefühl von Kampf und Entschlossenheit und soll auf diese Weise eher Solidarität hervorrufen. Diametral entgegengesetzt sind darüber hinaus vor allem die unterschiedlichen Formen der Personalisierung: So bleibt der abgebildete Sklave anonym und besitzt auch in der Darstellung wenig Individualität. Er soll somit stellvertretend für die gesamte Gruppe der Sklaven stehen, reproduziert auf diese Weise aber auch deren Anonymisierung und Entindividualisierung. Die Tasse der Anti-Apartheid-Bewegung wiederum folgt klar einer Strategie der Personalisierung und Individualisierung, in der Nelson Mandela als Held und Freiheitskämpfer in den Mittelpunkt gestellt wird. Diese Strategie der Personalisierung war innerhalb der Anti-Apartheit-Bewegung stark umstritten und wurde z.B. auch bei den späteren „Concerts for Nelson Mandela“ kontrovers diskutiert.
Die Verwendung solcher Alltagsprodukte zur politischen Kommunikation stand also in einer weit zurückreichenden Tradition, die sich auch noch in anderen Feldern weiterverfolgen ließe. Neu war jedoch die Einbettung in eine entstehende Massenkonsumgesellschaft mit potenziell globaler Reichweite in den Jahrzehnten nach 1945. Das Feld des individuellen Konsums entwickelte sich in diesem Kontext zu einem zentralen Gesellschaftsbereich, in dem sich der individuelle Geschmack und Lebensstil, mehr und mehr aber auch die eigenen kulturellen und politischen Anschauungen zum Ausdruck bringen ließen.
Die Anti-Apartheid-Bewegung war hierfür ein besonders eindrucksvolles Beispiel. Denn die Bewegung war von Beginn an mit Fragen des individuellen Konsums verbunden. Sie entstand im Jahr 1959 auf Basis eines Boykottaufrufs, der zunächst nur für einen Monat geplant war. Unter dem Eindruck des Sharpeville-Massakers, das genau in diesem Monat stattfand, entwickelte sich aus der temporären Aktion das Anti-Apartheid Movement (AAM) als kontinuierliche Protestgruppe in Großbritannien. Das AAM wurde in zahlreichen Feldern aktiv und prägte über mehrere Jahrzehnte die politische Beschäftigung mit dem südafrikanischen Regime – in Großbritannien wie auch in zahlreichen anderen Ländern Europas und darüber hinaus.[3] Der Boykottaufruf blieb jedoch die gesamte Zeit über die wichtigste Protestform, mit der sich die größte Gruppe an Menschen mobilisieren ließ. Dabei ist es wichtig zu betonen, dass der Sinn des Boykotts nur in zweiter Linie ein ökonomischer war: Die Aktivist:innen waren sich darüber im Klaren, dass die Konsumverweigerung einer kleinen Zahl europäischer Konsument:innen keinen bedeutenden ökonomischen Druck auf das südafrikanische Regime ausüben würde. Wichtigster Zweck des Boykotts war daher, die politische und mediale Aufmerksamkeit für das Thema präsent zu halten. Mit Verweis auf die große Unterstützung des Konsumboykotts versuchte das AAM, Druck auf Unternehmen und Banken auszuüben, sich aus Südafrika zurückzuziehen, sowie die britische Regierung auf Sanktionen und einen Abbruch kultureller und politischer Beziehungen zu verpflichten. Den einzelnen Unterstützer:innen wiederum bot das Feld des Konsums eine Möglichkeit, die eigenen Verbindungen zum südafrikanischen Regime zu reflektieren und ein weit entferntes Geschehen in direkte Beziehung zum eigenen Alltagshandeln zu setzen.
Diese enge Bezugnahme auf das Feld des Konsums legte es nahe, die Solidarität mit den Befreiungsbewegungen Südafrikas auch durch den Kauf bestimmter Produkte zum Ausdruck zu bringen. Aus dem „boycott“ sollte also ein „buycott“ werden.[4] Dass dieser Ansatz vor allem in den 1980er Jahren an Bedeutung gewann, ist kein Zufall. Er steht im Kontext einer generellen Entwicklung im Feld von NGOs und Protestgruppen, die sich in diesem Zeitraum professionalisierten, neue Strategien des Fundraisings entwickelten und hierfür mehr und mehr auch auf Konsumprodukte zurückgriffen.[5] Organisationen wie Greenpeace, Amnesty International und Oxfam begannen in dem Zeitraum, Produkte zu verkaufen, Läden zu eröffnen oder eigenständige Versandkataloge zu vertreiben. In allen diesen Fällen verband sich hiermit einerseits die Hoffnung, neue Einnahmequellen zu generieren, andererseits aber auch das Anliegen, über die Produkte die eigenen politischen Botschaften kommunizieren zu können.
Die Anti-Apartheid-Bewegung war hier sogar eher eine Nachzüglerin. Im Jahr 1983, dem Produktionsjahr der Tasse, existierten im AAM nur erste Ansätze eines professionellen Fundraisings. Die Organisation litt unter chronischem Geldmangel und war in großem Maße auf die un- oder unterbezahlte Arbeit ihrer Unterstützer:innen angewiesen. Erst in den späten 1980er Jahren, als Organisationen wie Oxfam oder Amnesty International dieses Feld schon seit geraumer Zeit entdeckt hatten, entstand auch in der Anti-Apartheid-Bewegung eine Initiative, die offensiv den Anspruch erhob, die eigene politische Botschaft als Produkt in die Konsumgesellschaft zu tragen. Mit der Gründung von AA Enterprises durch die beiden Aktivist:innen Margaret Ling und Roger Harris entstand ein vom AAM institutionell getrenntes Unternehmen, das mit Hilfe eines professionellen Versandkatalogs Konsum- und Alltagsprodukte aus dem Kontext der Anti-Apartheid-Bewegung verkaufte.[6] Hier konnte man auch die Tasse mit dem Bild Nelson Mandelas wiederfinden, darüber hinaus aber auch eine große Bandbreite weiterer Produkte wie Schmuck, Kleidung, Plakate oder Kalender. Das Unternehmen gründete sogar ein eigenes Plattenlabel und begann schließlich, eigenständig Produkte wie Kaffee und Erdnüsse aus den sogenannten Frontline States, den an Südafrika angrenzenden unabhängigen Staaten wie Angola, Botswana und Zimbabwe, zu vertreiben.
Eine solch offensive Form der Integration der politischen Botschaften und Ziele der Bewegung in die zeitgenössische Konsumkultur rief auch Kritik hervor. Lag in dem Aufbau solcher Konsumabteilungen nicht eine problematische Kommerzialisierung von politischen Protestbewegungen? Und wurden in diesem Zusammenhang aus politischen Solidaritätsprodukten reine Konsumwaren, die z.T. auf den Lifestyle- und Shoppingseiten von Hochglanzmagazinen besprochen wurden? Diese Kritik ist nicht völlig von der Hand zu weisen und wurde selbstverständlich auch in den Protestbewegungen selbst kontrovers diskutiert.
Dennoch bieten diese Produkte – und zwar gerade dann, wenn sie als Konsumprodukte über den Kreis der eigenen Unterstützer:innen hinaus wahrgenommen und gekauft wurden – einen wichtigen Zugang zu einer Geschichte des sozialen Protestes und der politischen Partizipation, die weniger auf außeralltägliche Protestformen wie Demonstrationen, Streiks oder Widerstandspraktiken gerichtet waren, sondern stattdessen an – z.T. gar nicht bewusst reflektierte und routinisierte – Alltagspraktiken anschlossen. Gerade für das Feld Menschenrechte kann dies Anhaltspunkte dazu bieten, auf welche Weise die Sprache der Menschenrechte in der Tat zur „lingua franca“ (Kenneth Cmiel) einer globalen Moral wurde.[7] Konsum- und Alltagsprodukte können in diesem Sinne als Teil einer bottom-up Geschichte der Menschenrechte verstanden werden, in der die Frage im Mittelpunkt steht, in welcher Weise das Wissen um und die Empörung über globale Menschenrechtsverletzungen zum selbstverständlichen Bestandteil des Alltags einer größeren Gruppe von Menschen wurde. In diesem Sinne lässt sich die Tasse mit dem Konterfei Nelson Mandelas als ein Objekt der politischen Kultur verstehen, das für die Geschichte der Menschenrechte eine ebenso relevante Quelle darstellt wie UN-Deklarationen, Gerichtsurteile oder Länderberichte von Amnesty International.
Literatur
Andresen, Knud/Justke, Sebastian/Siegfried, Detlef (Hg.): Apartheid and Anti-Apartheid in Western Europe. Basingstoke 2021.
Cmiel, Kenneth: The Emergence of Human Rights Politics in the United States, in: The Journal of American History 86,3 (1999), S. 1231-1250.
Fieldhouse, Roger: Anti-apartheid. A History of the Movement in Britain. London 2005.
Friedman, Monroe: A Positive Approach to Organized Consumer Action: The “Buycott” as an Alternative to the Boycott, in: Journal of Consumer Policy 19:4 (1996), S. 439-451.
Guyatt, Mary: The Wedgwood Slave Medallion. Values in Eighteenth-Century Design, in: Journal of Design History 13, 2 (2000), S. 93-105.
Hilton, Matthew/McKay, James/Crawson, Nicholas/Mouhot, Jean-François (Hg.): The Politics of Expertise. How NGOs Shaped Modern Britain. Oxford 2013.
Möckel, Benjamin: The Material Culture of Human Rights. Consumer Products, Boycotts and the Transformation of Human Rights Activism in the 1970s and 1980s, in: International Journal for History, Culture and Modernity 6:1 (2018), S. 76-104.
Möckel, Benjamin: Shopping Against Apartheid. Consumer Activism and the History of AA Enterprises (1986-1991), in: Andresen, Knud/Justke, Sebastian/Siegfried, Detlef (Hg.): Apartheid and Anti-Apartheid in Western Europe. Basingstoke 2021, S. 71-90.
Benjamin Möckel: Mit Mandela am Frühstückstisch. Eine Alltagsgeschichte über Konsum und Menschenrechte, in: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte, herausgegeben vom Arbeitskreis QGM, Oktober 2022, www.quellen-menschenrechte.de/fundstücke/mandela_am_frühstückstisch.