„Nicaragua libre – Land ohne Freiheit“ titelte eine Ausstellung, die Ende April 1985 im Schöneberger Rathaus West-Berlins eröffnete. Auf zehn Tafeln wurden der in Nicaragua regierenden linken Frente Sandinista de Liberación Nacional (FSLN) in plakativen Titeln und großformatigen Fotos mannigfaltige Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Verantwortlich für die Ausstellung zeichneten zwei bundesdeutsche und eine nicaraguanische Organisation: Die Internationale Arbeitsgemeinschaft „Freiheit und Demokratie“ e.V. (IAFD), die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGfM) und die nicaraguanische Permanente Kommission für Menschenrechte (CPDH). Ihre Darstellung eines kommunistischen Terrorregimes stand allerdings im Widerspruch zu den Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International oder Americas Watch. Auch die bundesdeutsche Solidaritätsbewegung mit dem sandinistischen Nicaragua verurteilte die Wanderausstellung als undifferenzierte antikommunistische Propaganda und begleitete sie mit Protesten an allen folgenden Ausstellungorten. Der Konflikt um die Ausstellung sowie um die Situation im sandinistischen Nicaragua ist für eine Geschichte der Menschenrechte aus dreierlei Perspektiven von Interesse. Erstens war die Debatte in der Bundesrepublik der lokale Ausdruck einer im Rahmen der Blockkonfrontation des Kalten Krieges geführten internationalen Auseinandersetzung um das sandinistische Nicaragua. Dabei instrumentalisierte die US Regierung unter Präsident Ronald Reagan das Thema Menschenrechte als Legitimation für die militärische und ökonomische Destabilisierung der sandinistischen Regierung in Managua. Zweitens ist die Episode ein Beispiel für die transnationalen Bezüge der Menschenrechtsarbeit in der Bundesrepublik. Kampagnen zu Menschenrechten im Globalen Süden wurden nicht nur über, sondern oft gemeinsam mit Akteuren aus den betreffenden Ländern organisiert. Drittens wirft die Episode Licht auf ein von der Forschung kaum thematisiertes Thema: Die Menschenrechtsarbeit rechtsgerichteter, antikommunistischer Organisationen in der Bundesrepublik.
Entstehungsgeschichte
Inhalt
Wirkungsgeschichte
Kommentierte Literaturliste
Weitere Literatur
Die Informationen auf den Tafeln der Ausstellung „Nicaragua libre. Land ohne Freiheit“ basierten auf Berichten und Fotomaterial aus den Händen der CPDH.[1] Die Kommission hatte sich in den letzten Jahren der Somoza-Diktatur zu einer national und international anerkannten Institution entwickelt; Amnesty International und der US Kongress griffen ihre Berichte über politische Repression, Folter und Verschwindenlassen auf.[2] Das lag auch an ihren renommierten Mitgliedern aus den Reihen der nicaraguanischen Opposition wie den Befreiungstheologen Fernando Cardenal oder Miguel D’Escoto, die sich für eine Kooperation zwischen der Guerillaorganisation FSLN und bürgerlichen Oppositionsgruppierungen einsetzten.[3] Dem vereinten Widerstand gelang es im Juli 1979, Somoza gewaltsam zu stürzen. In der nun folgenden gemeinsamen Übergangsregierung aus Sandinisten, Vertretern verschiedener Oppositionsparteien und Befreiungstheologen waren auch führende Mitglieder der CPDH vertreten. Die Erklärung der FSLN, auf Gewalt und Racheakte gegenüber Anhängern Somozas verzichten zu wollen und erste politische Maßnahmen wie die Abschaffung der Todesstrafe, eine Alphabetisierungskampagne und die Einführung einer kostenfreien Gesundheitsversorgung sorgten international für ein positives Echo.[4]
Die Leitung der CPDH übernahm nun José Esteban González, der als Mitglied der Christlich Sozialen Partei kurz zuvor versucht hatte, mithilfe internationaler Lobbyarbeit eine Regierungsbeteiligung der Sandinisten zu verhindern.[5] Nachdem im Frühjahr 1980 zwei der bürgerlichen Vertreter die Regierung im Streit mit der FSLN über die auf unbestimmte Zeit verschobenen Wahlen verlassen hatten, stellte sich innenpolitisch bald eine für das zeitgenössische Lateinamerika typische Konfrontation zwischen reformwilligen linken Kräften und den traditionellen, bürgerlich orientierten Eliten ein, deren jeweilige Handlungslogik durch die Dynamik des Kalten Krieges beeinflusst war. Angesichts der Marginalisierung oppositioneller Stimmen in Nicaragua und engerer Beziehungen zu Kuba und dem Ostblock befürchteten Kritiker der Sandinisten eine autoritäre Wende der Revolution. Die FSLN und ihre Unterstützer wiederum hatten das gewaltsame Ende linker Reformregierungen wie etwa in Chile 1973 vor Augen und warfen der Gegenseite vor, vor allem den drohenden Verlust ihrer Privilegien zu befürchten, von denen die große soziale Ungleichheit im Land herrühre. Auch González sah sich bald dem Vorwurf ausgesetzt, die Kommission für politische Zwecke der nicaraguanischen Revolutionskritiker zu instrumentalisieren. Mit gezielten Diffamierungen würden letztere die Übergangsregierung und ihre sozio-ökonomische Reformpolitik, von der die große Mehrheit der Nicaraguaner profitierte, in Verruf bringen. Bezeichnend für den zunehmend konfrontativen Umgang beider Seiten, der FSLN-dominierten Revolution einerseits und ihrer politischen Gegner andererseits, war ein Vorfall im Jahr 1981. Nachdem González auf einer Informationstour durch Westeuropa mit nachweislich überhöhten Zahlen politischer Gefangener die Sandinisten zu diskreditieren versucht hatte, ordneten letztere eine polizeiliche Durchsuchung des CPDH-Büros in Managua an, beschlagnahmten Akten und nahmen González nach seiner Rückkehr für kurze Zeit in Untersuchungshaft.[6]
Sowohl González Vorwürfe als auch das Vorgehen der FSLN gaben internationaler Kritik an der Revolution neue Nahrung. Amnesty International und Americas Watch gingen den Anschuldigungen auf ihren Beobachtermissionen in Nicaragua nach. Ihre Berichte, die stets auf Gesprächen mit der CPDH, Kritikern der Revolution und Regierungsstellen basierten, zeichneten ein differenziertes Bild der Menschenrechtslage in Nicaragua und stellten der sandinistisch geführten Regierung insgesamt ein gutes Zeugnis aus.[7] Obwohl sie so indirekt die Arbeit der CPDH kritisierten, nahm US Präsident Ronald Reagan die Zahlen der Kommission zum Anlass, um Kredite für Nicaragua zu stornieren und den ökonomischen Druck auf die dortige Regierung zu erhöhen.[8] Seine republikanische Regierung interpretierte die Revolution in Nicaragua angesichts der seit Ende der siebziger Jahre wieder zunehmenden Spannungen zwischen den Blöcken des Kalten Krieges als sicherheitspolitische Gefahr für die amerikanische Hemisphäre („zweites Kuba“) und versuchte die sandinistische Regierung mit ökonomischen, diplomatischen und militärischen Mitteln zu destabilisieren.[9] In diesem Rahmen bewaffnete und finanzierte die US Regierung auch oppositionelle Gruppierungen aus ehemaligen Somozisten, von der Revolution enttäuschten Bauern und indigenen Gruppen (sogenannte „Contras“), was den innernicaraguanischen Konflikt weiter anheizte. Beide Seiten warfen sich massive Menschenrechtsverletzungen vor bzw. nutzten diese Anschuldigungen, um international für Unterstützung zu werben. So entsprachen die Berichte der CPDH dem außenpolitischen Konzept der US Regierung und ihrer im Zeichen des Antikommunismus stehenden Menschenrechtspolitik.[10] Um eine möglichst große Schreckenskulisse aufzubauen, addierte sie die monatlich von der Kommission veröffentlichten Zahlen zu aktuellen politischen Gefangenen und Verschwundenen in Nicaragua und suggerierte damit einen kontinuierlichen Anstieg, wie Americas Watch nachweisen konnte.[11] Dass vermisste Personen dadurch gleich mehrmals in die Statistik eingingen bzw. zwischenzeitlich lokalisiert werden konnten, wurde stillschweigend ignoriert. Die Gräueltaten der Contra, deren Auftrag ein US Berater mit den Worten „Kidnap, kill, torture, rob. Democratic means are not effective“[12] beschrieb, kamen dagegen in den Berichten der CPDH und der US Regierung nicht vor.
In diesem ideologisch aufgeladenen Konflikt wurden Menschenrechte in Nicaragua zu einem Kampfplatz um die Deutungshoheit über die nicaraguanische Revolution. Das galt auch für die Bundesrepublik, wo die Regierung Kohl den Schulterschluss mit Reagans Mittelamerikapolitik suchte.[13] Auf der anderen Seite mobilisierte eine zeitweise über 300 Gruppen und viele Einzelpersonen umfassende Solidaritätsbewegung Unterstützung für die Sandinisten und ihr Ziel, in Nicaragua eine sozial gerechtere Gesellschaft aufzubauen.[14] Diese Unterstützer kamen nicht nur aus dem gesamten linken Spektrum der Bundesrepublik, sondern auch aus liberalen und kirchlichen Kreisen. Während die Solidaritätsbewegung die Arbeit der CPDH generell als unseriösen Antikommunismus abtat, warf González ihr und der deutschen Sektion von Amnesty International vor, auf dem linken Auge blind zu sein.[15]
Im Rahmen seiner internationalen Lobbyarbeit warb der Leiter der CPDH auch in der Bundesrepublik um Unterstützung. Dass González dabei in Kontakt mit konservativen Parlamentariern sowie vor allem dezidiert antikommunistischen Organisationen trat, sah die Solidaritätsbewegung als Bestätigung ihrer Vorwürfe. So stand González u.a. in engerem Kontakt mit der 1981 gegründeten IAFD, die auch Lobbyreisen für führende Mitglieder der Contra in der Bundesrepublik organisierte.[16] Eine besonders kontinuierliche und öffentlichkeitswirksame Kooperation entstand mit der IGfM. Mitte der siebziger Jahre aus einer Propagandaorganisation russischer Exilanten hervorgegangen, lässt sich auch die IGfM als ein Produkt der internationalen Aufmerksamkeit für Menschenrechte in diesem Jahrzehnt interpretieren.[17] Der ursprüngliche Fokus auf Menschenrechtsverletzungen in Osteuropa wurde durch den Kontakt mit González auf Zentralamerika erweitert. Dabei handelte es sich auf den ersten Blick um eine ähnliche Strategie wie bei Amnesty International oder Human Rights Watch, Menschenrechtsverletzungen in Ost und West zu untersuchen, um im Rahmen der ideologischen Blockkonfrontation als unparteiisch wahrgenommen zu werden. Allerdings lag der Fokus der IGfM weiter einseitig auf der Kritik linker Regierungen wie die Nähe führender Mitglieder zur Pinochet-Diktatur in Chile und ihre Arbeit in Zentralamerika zeigen.[18] Gemeinsam mit dem nicaraguanischen Partner wurden Informationsmaterialien zur Lage der Menschenrechte unter den Sandinisten veröffentlicht und seit 1984 Spenden für die CPDH gesammelt.[19] Aus dieser Kooperation entstand auch die Ausstellung „Nicaragua libre. Land ohne Freiheit“, die entsprechend der ideologischen Verortung der Veranstalter ein selektives Bild der Situation in Nicaragua bot.
Wie der Titel ankündigte, stellten die zehn beidseitig bebilderten Tafeln der Ausstellung dem Anspruch der Sandinisten, ein freies Nicaragua aufzubauen, Beispiele für einen eklatanten Mangel verschiedener Grundfreiheiten und die Verletzung von Menschenrechten gegenüber. Eine Mehrheit derer, die bis 1979 gegen die Diktatur der Somoza-Familie gekämpft hätten, sei nach dem Sieg „von den Sandinisten verraten und betrogen“ worden. „Demokratische Kräfte wurden ausgeschaltet, verhaftet, eingesperrt, misshandelt, erschossen. Widerstrebende Bevölkerungsteile erleiden nun schweren Zwang, Verfolgung, Terror, Zwang und Vernichtung,“[20] bilanzierte die einführende Tafel. Wer diese „demokratischen Kräfte“ seien und für welches Demokratieverständnis sie eintraten, blieb in der Ausstellung allerdings im Dunkeln. Während die Sandinisten einerseits klar als Täter identifiziert wurden, verschleierte die Darstellung auf den verschiedenen Tafeln andererseits konkrete Verbindungen zwischen den vorgestellten Opfern von Menschenrechtsverletzungen und der Contra. Ebenso fehlte jegliche Erwähnung des Ausnahmezustandes aufgrund der militärischen Aggressionen durch die US Armee und die von ihr unterstützte Contra, unter denen weite Teile Nicaraguas litten. Seit 1981/82 überfielen konterrevolutionäre Verbände mit zunehmender Frequenz nicaraguanische Dörfer, ermordeten gezielt Repräsentanten der sandinistischen Regierung sowie pro-revolutionäre Zivilisten und zerstörten Symbole der Reformpolitik wie Schulen, Krankenstationen und Kooperativen. Trotzdem konnte die Contra auf einen gewissen Rückhalt in Teilen der lokalen Bevölkerung zählen, die sich u.a. wegen gewalttätigen Schikanen von lokalen FSLN-Funktionären, willkürlichen Enteignungen oder der sandinistischen Kritik an der katholischen Amtskirche von der Revolution abgewandt hatten.[21] Ohne die Thematisierung der innenpolitischen Polarisierung in Nicaragua, für die beide Konfliktparteien mit ihren militanten Aktionen verantwortlich zeichneten, erschien das Handeln der FSLN als kontextlos typologische Konstante kommunistischer Gewaltherrschaft.
Im Gegensatz zu den Machern der Ausstellung versuchten Organisationen wie Amnesty International oder Americas Watch der Situation im Land Rechnung zu tragen. Ihre Herangehensweise, die Menschenrechtsverletzungen beider Seiten zu untersuchen, zu dokumentieren und zu verurteilen, lässt sich als Strategie interpretieren, sich von einer Indienstnahme der Menschenrechte im Sinne der Blockkonfrontation abzugrenzen. Gerade das Bemühen um eine neutrale Position sollte ihren Berichten Autorität verschaffen. Da die Anschuldigungen gegenüber den regierenden Sandinisten in den Berichten beider Organisationen ausführlicher und detaillierter untersucht wurden, können ihre Reporte aus den Jahren 1985 und 1986 für einen Abgleich mit den Vorwürfen der Ausstellung herangezogen werden.[22]
Die auf den Tafeln thematisierten Aspekte reichten von Missachtung des Rechtes auf Leben, Folter und Verschwindenlassen über Verletzung der Meinungs-, Versammlungs- und Glaubensfreiheit bis hin zu Übergriffen auf ethnische Minderheiten. Auch in den Dokumentationen der beiden Menschenrechtsorganisationen wurden entsprechende Verfehlungen der FSLN festgehalten und deutlich kritisiert. Nur wurden sie dort differenziert an konkreten Fällen belegt und als „vereinzelte Vergehen dieser Art“ charakterisiert, da es keine Belege „für eine vorsätzliche Politik der sandinistischen Regierung gebe, auf solche Maßnahmen zurückzugreifen,“[23] wie Juan Mendes, ein leitender Mitarbeiter von Americas Watch festhielt.
Kritiker aus den Reihen der Solidaritätsbewegung konnten der Ausstellung zudem gezielte Verdrehung von Tatsachen und konkrete Fehler nachweisen. So fanden sich z.B. unter der Rubrik „Recht auf Leben“ Fotos von Massengräbern mit der Bildunterschrift „Hunderte von Gefangenen wurden hingerichtet; überall im ganzen Land“.[24] Da eine Datumsangabe fehlte, wurde den Besuchern suggeriert, die Sandinisten seien für diese Verbrechen verantwortlich. Dabei zeigten die Fotos Angehörige der CPDH bei der Exhumierung von Opfern des Somoza-Regimes.[25]
„Das heutige Nicaragua ist zu einem großen Gefängnis geworden,“[26] hielt eine weitere Tafel fest. Als Illustration dienten hier ebenfalls Fotos, die nicht aus der sandinistischen Revolution, sondern aus der Zeit des Somoza-Regimes stammten. Die präsentierten Zahlen politischer Gefangener überstiegen sogar diejenigen unter Diktator Somoza. Dafür wurden u.a. 2800 „Verurteilte von Sondergerichten“ mitgezählt, ohne zu erklären, dass es sich dabei um ehemalige Mitglieder der somozistischen Nationalgarde und des Repressionsapparates der Somoza-Diktatur handelte.[27] Amnesty hatte bereits Anfang der achtziger Jahre den Rückgriff auf Sondergerichte zu deren Verurteilung kritisiert, zählte sie aber nicht als politische Gefangene. Auch die anderen Zahlen überstiegen die Schätzungen von Amnesty um ein vielfaches.[28]
Ein besonders symbolträchtiges Thema, das in der Ausstellung aufgegriffen wurde, war der Konflikt zwischen den Sandinisten und den indigenen Gruppen im Osten des Landes. Der Streit über Regeln für eine regionale Autonomie war 1981 gewaltsam eskaliert. Während ein Teil der indigenen Miskito ins benachbarte Honduras floh, sich der Contra anschloss und sich an militärischen Überfällen beteiligte, zwang die FSLN die verbleibenden indigenen Bewohner im Grenzgebiet zur Umsiedelung in lagerähnliche Modellsiedlungen im Landesinneren.[29] Das Vorgehen der FSLN sowie nachweisbare schwere Menschenrechtsverletzungen wie Mord und Folter sorgten international für Kritik. In den Berichten von Amnesty und Americas Watch wurde diesem Thema noch in den Berichten von 1986 jeweils ein eigenes Kapitel gewidmet.[30] In der Ausstellung widmeten sich drei Tafeln diesem Aspekt. Unter dem Titel „Das schmerzliche Schicksal der Indianer“ wurde dem sandinistischen Innenministers Tomas Borge das Zitat in den Mund gelegt „Wenn es erforderlich ist, werden wir den letzten Miskito ausrotten“[31]. Diese Worte standen jedoch im Gegensatz zur offiziellen Selbstkritik der FSLN, einer Amnestie für indigene Widerstandskämpfer und den Friedensverhandlungen mit den Miskito, die den Indigenen bereits während der Ausstellungseröffnung eine Rückkehr in ihre ursprünglichen Siedlungsgebiete ermöglichte.[32]
Die hier genannten Beispiele für eine selektive Darstellung verdeutlichen exemplarisch den Propagandacharakter der Ausstellung. Den Veranstaltern ging es in erster Linie um eine Diskreditierung des sandinistischen Regimes und die angeprangerten Menschenrechtsverletzungen boten dafür ein geeignetes Vehikel. Dabei folgten die Revolutionskritiker mit ihrem Fokus auf das an sich neutrale Konzept der Menschenrechte und dem Ausblenden politisch-ideologischer Konstellationen einer Strategie, die im lateinamerikanischen Vergleich auch von anderen Menschenrechtsgruppen praktiziert wurde. Gerade unter den rechten Militärdiktaturen und autoritären Regimen, die Ende der siebziger Jahre weite Teile des Kontinents im Griff hatten, versuchten Menschenrechts- und Opferorganisationen auf diese Weise dem Vorwurf zu entgehen, man setze sich für Personen ein, die von Seiten der Regime als kommunistische Agenten und Terroristen gebrandmarkt wurden.[33]
Ungeachtet von Kritik an der tendenziösen Darstellung wurde die Ausstellung in den folgenden Monaten u.a. in der Bayerischen Landesvertretung in Bonn und mehreren bundesdeutschen Großstädten gezeigt. Begleitet wurde sie dabei jeweils von öffentlichen Protesten der Solidaritätsbewegung, der es einmal sogar gelang die Tafeln ganz verschwinden zu lassen.[34] Die Auslassungen und fehlerhaften bzw. aus dem Kontext gerissenen Inhalte der Ausstellung machten es den bundesdeutschen Unterstützern der Sandinisten einfach, die Ausstellung als plumpen Antikommunismus in Frage zu stellen.[35]
IGfM und CPDH setzten ihre Kooperation und Lobbyarbeit in der Bundesrepublik auch jenseits der Ausstellung fort. Neben dem Vertrieb von Informationsmaterialien traten sie unter anderem als Ansprechpartner der regierenden Christdemokraten zu Nicaragua auf. Mit Blick auf die breite Unterstützungsbewegung für die Sandinisten in der Bundesrepublik und ihrer Kritik an der revolutionskritischen Haltung der Bundesregierung, veranstaltete die CDU im Oktober 1985 eine öffentliche Tagung mit etwa 400 Teilnehmern in Bonn.[36] Dort stellte Generalsekretär Heiner Geißler einen eigenen Report zur Menschenrechtssituation in Nicaragua vor. Als Experten zu diesem Thema waren die IGfM, González und ihm nahestehende Politiker der christlich-sozialen Partei Nicaraguas zugegen. Die vorgebrachten Argumente entsprachen daher größtenteils der Narration der Ausstellung, die am Rande der Tagung ebenfalls gezeigt wurde.[37] Mit dem Fokus auf die Vergehen der Sandinisten fungierten die Veranstaltung und der dort präsentierte Report als öffentlichkeitswirksame Legitimationsgrundlage für die Position der Bundesregierung und ihre Unterstützung der US amerikanischen Mittelamerikapolitik sowie der nicaraguanischen Revolutionskritiker.[38]
Zusammenfassend lässt sich die Ausstellung „Nicaragua libre. Land ohne Freiheit“ als lokaler Ausdruck einer von der ideologischen Polarisierung des Kalten Krieges geprägten und auf internationaler Ebene geführten Diskussion über die Menschenrechte in Nicaragua bzw. Zentralamerika interpretieren. Mit ihrem selektiven und tendenziösen Fokus entsprach die Ausstellung der von Seiten der US Regierung betriebenen Propaganda zur diplomatischen Isolation der sandinistischen Revolution. In seinem Artikel kritisierte Mendes von Americas Watch Mitte der achtziger Jahre die „maßlose Rhetorik“ und das „Ausmaß der Verdrehungen und Übertreibungen“ Reagans, was eine „genaue und faire Berichterstattung über Menschenrechte in Nicaragua“ erschwere.[39] Dass die US Administration Menschenrechtsverletzungen rechtsgerichteter Diktaturen nur widerwillig und verspätet kritisiere, deute darauf hin, dass „in den Händen der Reagan-Administration die Menschenrechte nichts weiter als ein Propagandainstrument“[40] zur Durchsetzung außen- und sicherheitspolitischer Ziele seien. Den Menschenrechten werde dadurch ebenso ein Bärendienst erwiesen wie von Teilen der Solidaritätsbewegung, die sandinistische Vergehen mit Verweis auf die innenpolitische Polarisierung und militärische Bedrohung rechtfertigten. In Sachen Menschenrechte könne es aber „keinen besonderen Maßstab für revolutionäre Regierungen geben.“[41]
In diesem diskursiv schwierigen Feld versuchten Amnesty International und Americas Watch in ihren Berichten die Menschenrechtsverletzungen sowohl der Sandinisten als auch der Contra zu dokumentieren und eine möglichst neutrale Position zu demonstrieren. Trotz Vorwürfen gegenüber der FSLN hielt Mendes den Sandinisten im Jahr 1986 zu Gute, dass sie im Gegensatz zu anderen Regimen in Lateinamerika häufig auf Anfragen zu Fällen von Menschenrechtsverletzungen reagierten und in einzelnen kritisierten Bereichen Kursänderungen vorgenommen hätten.[42]
Ein Ausnahmefall in Lateinamerika war Nicaragua nicht nur wegen der dortigen Revolution in den achtziger Jahren, sondern auch in Bezug auf die Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen nach dem Ende des Konfliktes. Im Rahmen des Friedensprozesses, der im Februar 1990 zu Wahlen, dem Sieg der Opposition und dem Abtritt der Sandinisten als Regierung führte, wurde im Gegensatz zu den Nachbarländern kein Mechanismus zur Untersuchung vergangener, politisch motivierter Verbrechen vereinbart. Eine staatlich eingesetzte Wahrheitskommission, wie sie als Teil der politischen Transition in vielen Ländern Zentral- und Südamerikas seit den achtziger Jahren durchgeführt wurde, fand in Nicaragua ebenso wenig statt wie eine juristische Aufarbeitung. Als ein Grund dafür hat die neuere Forschung die geteilte Verantwortung beider Konfliktparteien an den Vergehen zwischen 1979 und 1990 festgehalten.[43]
Americas Watch: On Human Rights in Nicaragua, May 1982. New York 1982.
Americas Watch: Human Rights in Nicaragua 1985-1986. New York und Washington 1986.
Americas Watch: Human Rights in Nicaragua. Reagan, Rhetoric, and Reality. Washington 1985.
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Amnesty International: Nicaragua. The Human Rights Record. London 1986.
Mendes, Juan: Jenseits der Propaganda. Die Lage der Menschenrechte in Nicaragua, in: Norbert Greinacher, Jochen Hippler, Jochen Peltzer (Hg.): Herausforderung im Hinterhof. Das neue Nicaragua- eine Bestandsaufnahme. Wuppertal 1987 (2. Aufl.), S. 68-91.
Diese Dokumentationen von Amnesty International und Americas Watch versuchen, einen differenzierten Blick sowohl auf die Menschenrechtsverletzungen der FSLN als auch der Contra zu werfen.
Astrid Bothmann: Transitional Justice in Nicaragua 1990-2012. Drawing a Line Under the Past. Wiesbaden 2015.
Bothmann vertritt in ihrer Dissertation die These, dass die Verantwortung beider Konfliktparteien zu einem geringen politischen Interesse an einer offiziellen Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen führte. In einem eigenen Kapitel werden die Vergehen während der achtziger Jahre anhand der Berichte von CPDH, AI, AW u.a. vorgestellt. Allerdings liegt der Schwerpunkt quellenbedingt auf den Vergehen der Sandinisten.
Hal Brands: Latin America’s Cold War. Cambridge/MA und London 2010.
Thomas Walker, Christine Wade: Nicaragua. Living in the Shadow of the Eagle. Boulder 2011 (5. Aufl.).
Lynn Horton: Peasants in Arms. Peace and War in the Mountains of Nicaragua 1979-1994. Athens 1998.
Aktuelle historiographische Aufarbeitungen zur Zeitgeschichte Nicaraguas lassen sich immer noch daran unterschieden, ob sie die Leistungen oder Missstände der sandinistischen Revolution betonen. Während Walker und Wade den Schwerpunkt auf die soziopolitischen Erfolge der Revolution und ihre Gefährdung durch die US-Sicherheitspolitik und Contras legen, kommen bei Brands trotz seiner Bemühung um Ausgewogenheit mehrheitlich die negativen Seiten der sandinistischen Revolution zur Sprache. Horton geht in ihrer Untersuchung den Gründen für die Entstehung der Contra und den Motiven ihrer Anhänger nach. Schikanen, autoritäres Auftreten und Menschenrechtsverletzungen von Seiten der regierenden Sandinisten spielten hierbei eine wichtige Rolle.
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„Seit ich anfing, Arbeitnehmerrechte auch für die IGfM zu fordern...“ Die ehemalige Lateinamerika-Referentin der „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte“ hat fristlos gekündigt und packt aus, in: die tageszeitung, 27.7.1989, S.10.
Historische Forschung zur Menschenrechtsarbeit rechtsgerichteter Organisationen wie IAFD oder IGfM bleiben bislang ein Desiderat. Die zeitgenössischen Dokumentationen und Analysen aus den Reihen der Solidaritätsbewegungen sowie Berichte von ehemaligen Mitgliedern der Organisationen bieten hier einen Ansatzpunkt.
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Ich danke Christine Hatzky für Kommentare und Anmerkungen zu einer früheren Version dieses Beitrags.
Christian Helm: Die Ausstellung „Nicaragua libre – Land ohne Freiheit“ (1985), in: Quellen zur Geschichte der Menschenrechte, herausgegeben vom Arbeitskreis Menschenrechte im 20. Jahrhundert, Dezember 2017, URL: www.geschichte-menschenrechte.de/ausstellung-nicaragua-libre/
Die Ausstellung „Nicaragua libre – Land ohne Freiheit“ (1985)
von Christian Helm